Orgel von Gerald Woehl (Marburg), 2019/23.
Die Alexanderkirche Wildeshausen – ein spätromanischer Backsteinbau aus dem frühen 13. Jahrhundert – gilt als älteste erhaltene Kirche des Oldenburger Landes. Sie geht zurück auf das 851 gegründete Alexanderstift, für das die Reliquien des Heiligen Alexander aus Rom hierher übertragen worden waren. Die Bedeutung des Wildehausener Stifts in früheren Zeiten zeigt sich bis heute an den großen Ausmaßen der Kirche. Seit der Verlegung des Stifts 1699 nach Vechta dient die Alexanderkirche als Stadtkirche von Wildeshausen.
Bereits im 15. Jahrhundert ist die Verwendung einer Orgel im Alexanderstift nachgewiesen: 1453 war mit der Geldstiftung einer Vikarie das „officium organorum“ verbunden – „ad cantandum in organis in festis“. An besonderen Festtagen sollte also die Orgel, vermutlich im antiphonalen Wechsel mit dem Choralgesang, erklingen. 1516 erhielt die Kirche eine neue Orgel, die laut einer Notiz aus dem Jahr 1630 „wohl eine Zeitlang gebrauchet, hernach aber in solchen Abgang geraten, daß es in geraumer Zeit nicht hat können gerührt werden“. Der Dreißigjährige Krieg und die durch Wildeshausen ziehenden marodierenden Soldaten hatten an der Orgel wohl deutliche Spuren hinterlassen. Daraufhin forcierte man ab 1630 den Bau einer neuen Orgel, die schließlich zu Pfingsten 1632 fertiggestellt war. Anders als es Walter Kaufmann 1962 in seinem Buch über „Die Orgeln des alten Herzogtums Oldenburg“ vermutete, war es wohl nicht Arnold Bader, der die Wildeshauser Orgel baute, sondern der aus Schmalkalden stammende Orgelbauer Sebastian Rhemus, der sich spätestens 1630 in Osnabrück niedergelassen hatte und dem laut Eintragungen in den Cloppenburger Kirchenrechnungen der Bau der Wildeshausener Orgel zugeschrieben werden muss – ferner ist hieraus auch der Name des Gehäuse-Schnitzers Arendt Jacobs zu entnehmen. Offenbar handelte es sich bei dem Instrument um ein recht kleines Werk, wie aus einem Inventar von 1699 hervorgeht.
Nach dem Umzug der Kanoniker des Alexanderstifts nach Vechta und der Nutzung der Kirche als Stadtkirche schloss man am 4. April 1710 den Vertrag zum Bau einer neuen Orgel mit dem Hannoverschen Orgelbauer Christian Vater, dessen 18 Register umfassendes Werk ein Jahr später fertiggestellt war. 1719 fügte Vater ein Krummhorn 8' als weiteres Register hinzu. Bis heute sind das Gehäuse und acht Register der Vater-Orgel in der » St.-Stephanus-Kirche Fedderwarden erhalten, wo die Bestandteile 1978 für ein neues Instrument verwendet wurden.
In den Jahren 1907 bis 1912 erfolgte unter Anleitung der Architekten Heinrich Wilhelm Ludwig Wege, Adolf Rauchheld und Alexander Former eine umfassende Renovierung und Umgestaltung des Kirchenraums im Sinne des Jugendstils. Dabei erfolgte auch eine Erneuerung der inzwischen stark renovierungsbedürftigen Orgel. Der Orgelbauer Johann Martin Schmid („Schmid III“) aus Oldenburg versetzte das Instrument von der Westempore auf eine Empore im nördlichen Querhaus, wodurch das durch die Vater-Orgel verdeckte Rosettenfenster im Westwerk nun wieder sichtbar war. Schmid verwendete das Gehäuse und einige Register von Christian Vater wieder, erweiterte die Disposition aber auf 20 Register, die er auf pneumatische Kegelladen stellte.
In den 1950er und 60er Jahren erfolgten erneut umfassende Restaurierungsarbeiten am Kirchengebäude, die die Veränderungen vom Beginn des Jahrhunderts teilweise wieder rückgängig machten. In diesem Zuge wurde auch die Orgel auf der Nordempore entfernt (der Abbau erfolgte 1969 durch die Orgelbauwerkstatt Alfred Führer, die die Bestandteile des Instruments zunächst einlagerte und später, wie bereits erwähnt, für den Orgelbau in Fedderwarden wiederverwendete) und durch eine neue Orgel im neobarocken Stil ersetzt. Die neue, von der Orgelbauwerkstatt Detlef Kleuker aus Brackwede erbaute und 1970 fertiggestellte Orgel umfasste 38 Register auf drei Manualen und Pedal und fand ihren Platz auf einer neuen Betonempore – nun wieder im Westwerk der Kirche. Dadurch wurde allerdings das historische, 1910 von dem Künstler Georg Karl Rohde gestaltete Rosettenfenster erneut komplett verdeckt.
Rund 45 Jahre später sollte die Kleuker-Orgel durch ein neues Instrument ersetzt werden. Bereits 2008 gab es den ersten Beschluss zum Bau einer neuen Orgel, wozu am 16. März 2015 ein Orgelbauverein gegründet wurde, der schließlich den Auftrag an die Marburger Orgelbauwerkstatt Gerald Woehl vergab. Für die optische Gestaltung war es grundlegende Maßgabe, das Rosettenfenster wieder sichtbar zu machen und Orgel und Empore weniger massiv wirken zu lassen. Die wie das Vorgängerinstrument aus 38 Pfeifenreihen bestehende, aber über ein Multiplexsystem auf 66 Register ausgedehnte Disposition des neuen Instruments ist symphonisch angelegt und erlaubt unter anderem auch durch die zwei schwellbaren Manualwerke das Ausschöpfen einer enormen dynamischen und klangfarblichen Bandbreite.
Unmittelbar nach der Auftragsvergabe begann Gerald Woehl 2019 mit dem Bau des Instruments in der Marburger Werkstatt. Im Sommer 2020 wurde die Kleuker-Orgel durch den polnischen Orgelbauer Zdzisław Mollin abgebaut – sie erklingt inzwischen in einer Kirche in der Nähe von Danzig. Ende 2020 konnte durch die Fa. Woehl mit dem Aufbau der neuen Orgel begonnen werden, und zu Weihnachten 2021 sollte die Orgel eigentlich fertiggestellt sein. Durch die Corona-Pandemie, daraus resultierende Lieferschwierigkeiten und den Konkurs der Fa. Laukhuff (Weikersheim), die die elektronischen Komponenten für die Orgel liefern sollte, ergaben sich allerdings einige Verzögerungen, so dass die Weihe des fertigen Instruments erst am 16. April 2023 erfolgen konnte.
Die Orgel steht auf drei Gehäusekomplexe verteilt, die jeweils durch einen Stimmgang voneinander getrennt sind: Im Vordergehäuse sind mittig die Spielanlage und links und rechts davon die Windladen des I. Manuals untergebracht. Die beiden Schwellwerke stehen dahinter in einem eigenen Gehäuse, das sich auch noch oben hin mit Jalousien öffnet (links II. Manual, rechts III. Manual). Und ganz hinten an der Kirchenwand unterhalb des Rosettenfensterts ist mittig die Balganlage untergebracht, die von dem in C- und Cis-Seite aufgeteilten Pedalwerk flankiert wird. Somit hat die Orgel eine enorme Tiefe, während die frontale Optik recht „zierlich“ wirkt, wie es der Orgelbauer Gerald Woehl und sein Sohn Claudius MayWoehl formulieren.
I. MANUAL | C–a³
Großbordun 32'
Bordun 16'
Principal 8'
Flûte harmonique 8'
Bordun 8'
Viola da Gamba 8'
Octave 4'
Flöte 4'
Quinte 2 2/3'
Doublette 2'
Terz 1 3/5'
Cornet 4–5f.
Mixtur 4–5f.
Trompete 16'
Trompete 8'
Koppel III–I
Koppel III–I 16'
Koppel III–I 4'
Koppel II–I
Koppel II–I 16'
Koppel II–I 4'
Koppel in I 16'
Koppel P–I
II. MANUAL (SW) | C–a³
Gedackt 16'
Geigenprincipal 8'
Salicional 8'
Unda maris 8'
Lieblich Gedackt 8'
Quintatön 8'
Piffaro 8'
Principal 4'
Gedacktflöte 4'
Viola alta 4'
Nasard 2 2/3'
Violine 2'
Flageolet 2'
Terz 1 3/5'
Mixtur 4f.
Klarinette 16'
Klarinette 8'
Vox humana 8'
Tremulant II
Koppel III–II
Koppel III–II 16'
Koppel III–II 4'
Koppel in II 16'
Koppel in II 4'
III. MANUAL (SW) | C–a³
Traversflöte 16'
Doppelflöte 8'
Flûte traversière 8'
Viole de Gambe 8'
Voix céleste 8'
Doppelflöte 4'
Flûte octaviante 4'
Dulciane 4'
Piccolo 2'
Bombarde 16'
Trompette harmonique 8'
Clairon harmonique 4'
Hautbois 8'
Tremulant III
Koppel in III 16'
Koppel in III 4'
PEDAL | C–f¹
Groß Bordun 32'
Zartbaß 32'
Kontrabaß 16'
Violonbaß 16'
Subbaß 16'
Gedecktbaß 16'
Echobaß 16'
Octavbaß 8'
Baßflöte 8'
Echobaß 8'
Cello 8'
Octave 4'
Posaune 16'
Basson 16'
Klarinette 16'
Baßtrompete 8'
Fagott 8'
Trompete 4'
Koppel III–P
Koppel III–P 4'
Koppel II–P
Koppel I–P
Elektronische Setzeranlage, mehrere frei programmierbare Registercrescendi (Walze), Umschaltung auf „klassischen Wind“.
Elektrische Schleifladen nach Multiplexsystem, mechanische Spieltraktur.
D-27793 Wildeshausen | Herrlichkeit 6
Quellen und Literatur: Walter Kaufmann, Die Orgeln des Alten Herzogtums Oldenburg, Oldenburg 1962, S. 148–150 ⋄ Winfried Schlepphorst, Der Orgelbau im westlichen Niedersachsen,
Kassel u. a. 1975, S. 85 ⋄ Fritz Schild, Orgelatlas der historischen und modernen Orgeln der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, Wilhelmshaven 2008, S. 255–256 ⋄ Orgelbau Woehl ⋄
Pressemeldungen zur neuen Woehl-Orgel ⋄ Eigener Befund.
Nr. 629 | Diese Orgel habe ich zum ersten Mal am 17.03.2023, wenige Wochen vor der offiziellen Einweihung besucht und gespielt.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 14.02.2025.
www.orgelsammlung.de
© Dr. Gabriel Isenberg, 2023/25