Viersen, St. Remigius

Orgel von Gerald Woehl (Marburg), 1984.


© Gabriel Isenberg, 01.09.2024
© Gabriel Isenberg, 01.09.2024

In der spätgotischen St.-Remigius-Kirche im Zentrum von Viersen errichtete der Orgelbauer Anton Schiffers (auch Schrievers, Scheiffers oder Schäffers) aus dem rund 15 Kilometer entfernt liegenden Ort Schelsen 1697 die erste Orgel – ein großes Instrument mit 18 klingenden Registern und zwei Manualen. Nur zwei Jahre später stürzte die Kirche aufgrund eines gebrochenen Pfeilers ein, und es dauerte rund fünf Jahre, bis die Kirche wiederaufgebaut war. Auch die Orgel war bis dahin wiederhergestellt.

Beim Bau einer neuen Orgel verwendete Engelbert Maaß 1848/49 wesentliche Teile der alten Orgel wieder. Das Instrument umfasste nun 36 Register auf drei Manualen und Pedal. 1897 führte Johannes Klais (Bonn) einen pneumatischen Umbau durch, nach dem das Instrument 33 Register auf zwei Manualen und Pedal hatte. Ein weiterer Umbau erfolgte 1928 durch dessen Sohn Hans Klais (Bonn), der Trakturen und Windladen elektrifizierte und die Disposition durch Hinzufügung eines Schwellwerks auf 43 Register erweiterte. Dieses Instrument fiel am 24. Februar 1945 dem Bombardement des Zweiten Weltkriegs zum Opfer, durch das auch die Kirche schwer beschädigt wurde.

In der nach den Plänen des Kölner Regierungsbaumeisters Wilhelm Hartmann wiederaufgebauten und am 25. September 1949 eingeweihten Kirche stellte die Orgelbaufirma Walcker 1949/50 eine Orgel (op. 2798) auf – mit 43 klingenden Registern (incl. zwei Transmissionen), verteilt auf die Hauptorgel mit zwei Manualwerken und Pedal und eine Chororgel mit Schweller als drittes Manualwerk, seinerzeit die größte Orgel der unmittelbaren Nachkriegszeit aus der Ludwigsburger Orgelbauwerkstätte. Die Walcker Orgel stand auf einer (heute nicht mehr vorhandenen) Empore im Nordwesten des Kirchenraums, die schwellbare Chororgel hinh in der südwestlichen Taufkapelle.

Im Rahmen einer umfassenden Umgestaltung des Kirchen-Innenraumes in den Jahren 1982–84 wurde auch die Nachkriegsorgel der Fa. Walcker entfernt. Den Auftrag zum Bau einer neuen großen Orgel erhielt die Orgelbauwerkstatt von Gerald Woehl in Marburg, der hier eines seiner wichtigsten und in der Konsequenz der stilistischen und technischen Ausführung seinerzeit wegweisenden Instrumente errichtete. Die von Gerald Woehl in Zusammenarbeit mit dem Orgelsachverständigen Viktor Scholz und dem damaligen Kantor an St. Remigius, Hans Wilhelm Hoff, entworfene Disposition orientiert sich konsequent an den Vorbildern der französischen Orgelbautradition: Die im Kern klassisch-französische Disposition erhielt in Grand Orgue, Bombardwerk und Positif Zungen nach dem Vorbild von Dom Bédos; die Zungenstimmen in Récit und Pedal orientieren sich hingegen an Cavaillé-Coll. Entsprechend ist das eher klassisch geprägte Rückgrat des Orgelklangs symphonisch deutlich erweitert. Sie erinnert (so formuliert es Holger Brülls) an „jene Instrumente in Frankreich, die im Lauf der Jahrhunderte zu regelrechten Stilsynthesen zusammengewachsen sind“. Hinzu kommt eine vollmechanische Schleifladenbauweise mit hängenden, sehr sensiblen Trakturen und auf Länge geschnittenen Pfeifen. Die Weihe des 52 Register umfassenden Instruments fand am 2. Dezember 1984 statt. Gerald Woehl widmete sein Instrument dem Gedenken an den Komponisten und Organisten Jehan Alain (1911–1940).

Im Rahmen einer Reinigung und Generalüberholung wurde 2006 durch Gerald Woehl der Appel-Tritt für Grand Orgue entfernt und stattdessen eine mechanische Koppel III–I angelegt; das Pedalregister Quinte-Tierce 2f. wurde gegen die Grosse Tierce 6 2/5' ausgetauscht.

Die letzte Reinigung ud Überholung erfolgte 2021 durch Martin Scholz (Mönchengladbach).

I. POSITIF | C–g³

Montre 8'
Bourdon 8'
Prestant 4'
Flûte chem[inée] 4'
Nasard 2 2/3'
Doublette 2'
Tierce 1 3/5'
Larigot 1 1/3'
Fourniture III
Cymbale III
Trompette 8'
Cromorne 8'
Tremblant doux I

III–I  [2006 neu]

II. GRAND ORGUE | C–g³

Montre 16'
Montre 8'
Flûte harm. 8'
Salicional 8'
Bourdon 8'
Prestant 4'
Flûte con[ique] 4'
Gr. Tierce 3 1/5'
Nasard 2 2/3'
Doublette 2'
Tierce 1 3/5'
Sesquialtera II
Fourniture IV
Cymbale IV
Chamade 4'/8'

IV–II

III–II

III–II 16'

I–II

III. RÉCIT EXPRESSIF | C–g³

Jeux de fonds
Quintaton 16'
Bourdon 8'
Gamba 8'
Voix célestes 8'
Flûte trav[ersière] 8'
Flûte oct[aviante] 4'
Vox Humana 8'
Basson Hautbois 8'

Jeux de Combinaisons
Fugara 4'
Octavin 2'
Progressio I-V
Bombarde 16'
Trompette harm. 8'
Clairon harm. 4'
Tremblant fort III

IV. BOMBARDE | C–g³

Cornet V
Trompette 8'
Clairon 4'


PÉDALE | C–f¹

Jeux de fonds
Montre 16'  [Transm. G.O.]
Soubasse 16'
Gr. Quinte 10 2/3'
Flûte 8'
Octave 4'


Jeux de Combinaisons
Gr. Tierce 6 2/5'  [2006 statt Quinte-Tierce II]
Bombarde 16'
Trompette 8'
Clairon 4'

 

IV–P

III–P

II–P

I–P


Appel P, Appel III, Echo [des jeux du Récit = Öffnen/Schließen zusätzlicher Schwellklappen zur Verstärkung der Lautstärke des Récit].

Mechanische Schleiflade.

Temperierung: Neidhardt für eine kleine Stadt.

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D-41747 Viersen | Remigiusplatz


Quellen und Literatur: Franz Josef Schröteler, Die Herrlichkeit und Stadt Viersen. Ein Beitrag zur Geschichte des Niederrheins, 1861 ⋄ Klais-Opusliste ⋄ Horst Hodick, Johannes Klais (1852-1925) - Ein rheinischer Orgelbauer und sein Schaffen, Bd. 2, S. 92-93 ⋄ Walcker-Opusbuch 39 ⋄ Kirchenmusik St. Remigius Viersen ⋄ Eigener Befund.

 

Nr. 679 | Diese Orgel habe ich erstmals am 31.08.2024 im Rahmen einer Konzertvorbereitung gespielt.

© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 15.11.2024.