Orgel von Gerald Woehl (Marburg), 2014.
Im Jahr 1642 ließen sich die Franziskaner in Vechta nieder und errichteten hier mit Genehmigung des Osnabrücker Bischofs Franz Wilhelm von Wartenberg ein Kloster. 1697 vermachte der Drost zu Wildeshausen und Herr zu Welpe Jobst Valcke dem Kloster eine neue Orgel, die 368 Thaler kostete. Über die Beschaffenheit dieses Instruments sind wir nicht genauer unterrichtet, aber sie wurde in die 1726–1731 neu erbaute Kirche überführt, nachdem die alte wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste.
Eine mit 31 Registern dem großen Raum der neuen Franziskanerkirche angemessene Orgel fertigte der Osnabrücker Orgelbaumeister Johann Gottlieb Müller in den Jahren 1766 bis 1770. Doch die Orgel konnte nur wenige Jahrzehnte in Vechta verbleiben, denn als das Kloster im Zuge der Säkularisation 1812 aufgehoben wurde, sollte auch die Orgel entfernt werden. Sie kam nach heftigen Streitigkeiten schließlich nach Löningen, wo sie der Orgelbauer Anton Franz Schmid (Quakenbrück) 1815 in der Pfarrkirche St. Vitus wieder aufstellte. Bis heute ist dort das beeindruckende Barockgehäuse erhalten, das die Jahreszahl 1768 trägt und zu den bedeutendsten barocken Orgelbauzeugnissen Südoldenburgs gehört.
Die Klosterkirche in Vechta wurde in den kommenden Jahren in eine Simultankirche umgestaltet, während in den ehemaligen Klostergebäuden eine Strafanstalt unterkam. Für die Simultankirche baute Anton Franz Schmid 1818/19 eine neue Orgel mit elf Registern und angehängtem Pedal. Diese wurde 1909 durch eine zwölfregistrige pneumatische Kegelladenorgel von Johann Martin Schmid (Schmid III) aus Oldenburg ersetzt. Ein erneuter Orgelbau erfolgte 1958 durch die Orgelbauwerkstatt Herbert Kruse in Lohne; von den vorgesehenen 21 Registern wurden nur 15 eingebaut. Die Kruse-Orgel mit ihrem elektropneumatischen Taschenladensystem konnte auf Dauer nicht wirklich überzeugen, auch eine größere Reparatur durch die Orgelbauwerkstatt Führer (Wilhelmshaven) im Jahr 1976 konnte daran nichts ändern. Und so wurde die Orgel mit Beginn der umfangreichen Kirchenrenovierungsarbeiten 2010 abgerissen.
Nach Abschluss der Kirchenrenovierung im Jahr 2013 begann der Bau der bereits 2010 bei Orgelbaumeister Gerald Woehl in Marburg beauftragten großen neuen Orgel. Am 5. Oktober 2014 konnte das Instrument eingeweiht werden. Die klangliche Konzeption der Orgel versteht Orgelbaumeister Gerald Woehl als „Neu-Interpretation der Disposition von Johann Gottlieb Müller mit den Anforderungen an ein Orgel-Instrument heute und gleichzeitig [in] Anknüpfung an die musikalisch vielfältge, klanglich farbenreiche Zeit, [...] als die Kirche erbaut wurde.“ Auch die Proportionen des durch seine großen Pfeifenflächen hell glänzenden Prospekts hat er am Vorbild der Müller-Orgel von 1768 ausgerichtet. Die 52 Register, die in den zwei Manualwerken und im Pedal einen üppigen Registerfundus bieten, werden durch Extensionen und Transmissionen aus einem realen Bestand von 36 Registern gebildet. Hinzu kommen zahlreiche Koppeln und Oktavkoppeln sowie eine moderne Setzeranlage, die die klangfarblichen Möglichkeiten des Instruments nochmal erweitern. Durch die Funktion „Oberwerk an“ öffnen sich Klangklappen im Dach des Schwellwerksgehäuses hinter dem oberen Mittelteil des Prospekts, wodurch das II. Manual als „ein barockes Oberwerk mit guter klanglicher Abstrahlung nach allen Seiten“ wahrgenommen wird (so Woehl). In diesem Sinne ist auch die Funktion „Klassischer Wind an“ zu verstehen, wodurch auf einen lebendigen Orgelwind umgeschaltet wird „für die klassische, barocke Literatur“.
Die erste Reinigung der Orgel erfolgte im Herbst 2023 nach einem Bauschaden über der Orgel. Die Woehl-Orgel der Klosterkirche in Vechta ist das profilierteste Instrument in der Kreisstadt und auch in vielen Konzerten und Konzertreihen zu hören.
I. HAUPTWERK | C–a³
Bordun 16'
Principal 8'
Rohrflöte 8'
Viola di Gamba 8'
Bordun 8' [Ext. Bordun 16']
Quinte 5 1/3'
Octave 4'
Gemshorn 4'
Flauto traverso 4'
Quinte 2 2/3'
Superoctave 2'
Terz 1 3/5'
Sesquialtera 2f. [Gruppenzug]
Cornet 3f. [Gruppenzug]
Mixtur 4-6f. 2'
Trompete 16'
Trompete 8' [Ext. Tromp. 16']
Tremulant
Koppel II-I
Subkoppel in I
Subkoppel II-I
II. SCHWELLWERK | C–a³
Quintadena 16'
Viola 8'
Unda maris 8'
Konzertflöte 8'
Gedackt 8'
Quintadena 8' [Ext. Quintadena 16']
Principal 4'
Viola alta 4' [Ext. Viola 8']
Flauto douce 4'
Quint-Nasard 2 2/3'
Octave 2'
Violine 2' [Ext. Viola 8']
Terzflöte 1 3/5'
Sesquialtera 2f. [Gruppenzug]
Mixtur 4-5f.
Fagott 16'
Horn 8'
Cantus 4' [Ext. Horn 8']
Oboe 8'
Vox humana 8'
Tremulant
Subkoppel in II
PEDAL | C–f¹
Groß Bordun 32' [akustisch aus HW-Bordun]
Principal 16'
Violonbaß 16'
Subbaß 16'
Gedacktbaß 16' [aus HW-Bordun]
Quinte 10 2/3'
Octave 8'
Cello 8' [Ext. Violonbaß 16']
Gedackt 8' [aus HW-Bordun]
Octave 4'
Posaune 16'
Baßtrompete 8'
Fagott 16' [aus HW-Trompete]
Fagott 8' [aus HW-Trompete]
Cantus 4' [aus HW-Trompete]
Koppel II-P
Koppel I-P
Superkoppel II-P
Elektronische Setzeranlage mit Sequenzern, abschließbar und USB-Port; frei programmierbare Crescendowalze mit Absteller.
Klassischer Wind an (= Umstellung auf klassischen, d. h. lebendigen Wind).
Oberwerk an (= Öffnen und Schließen der Abdeckung des II. Manualwerks für Veränderung der Schwellwirkung).
Schleiflade, mechanische Spieltraktur, elektrische Registertraktur.
D-49377 Vechta | Franziskanerplatz
Quellen und Literatur: Winfried Schlepphorst, Der Orgelbau im westlichen Niedersachsen, Kassel u. a. 1975, S. 148–151 ⋄ Festschrift „Die neue Orgel der Klosterkirche Vechta“ ⋄ Archivunterlagen zum Orgelbau ⋄ Eigener Befund.
Nr. 495 | Diese Orgel habe ich zum ersten Mal am Einweihungstag, den 05.10.2024 gespielt und danach mehrfach bei Konzerten und anderen Gelegenheiten.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 16.11.2024.
www.orgelsammlung.de
© Dr. Gabriel Isenberg, 2023