Leipzig, Thomaskirche (Sauer-Orgel)

Orgel von Friedrich Ladegast (Weißenfels), 1886/89.


© Gabriel Isenberg, 24.05.2024
© Gabriel Isenberg, 24.05.2024

Die Thomaskirche ist eine der Hauptkirchen der Stadt Leipzig und vor allem als Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs weltbekannt. Bereits im 12. Jahrhundert hatte es einen romanischen Vorgängerbau gegeben, der zwischen 1212 und und 1222 zur Stiftskirche des neuen Thomasklosters der Augustiner-Chorherren umgebaut wurde. Der dort 1212 gegründete Thomanerchor ist einer der ältesten Knabenchöre Deutschlands und wurde in seiner Geschichte von zahlreichen namhaften Musikern – den Thomaskantoren – geleitet.

Offenbar schaffte man bereits vor 1384 (rund dreißig Jahre nach dem Umbau des romanischen Chorraums) eine Orgel für die Thomaskirche an. 1511 entstand ein vermutlich zweimanualiger Orgel-Neubau auf der Westempore. Außerdem erwarb die Kirchengemeinde 1525 eine kleine Orgel aus dem Antoniterkloster Eicha (möglicherweise als Zweitinstrument). 1539/40 fanden größere Erneuerungsarbeiten an der großen Orgel durch Meister Leonhard Franke statt. Weitere umfassende Erneuerungsarbeiten nahm Johann Lange aus Kamenz im Jahr 1598/99 vor (er hatte kurz zuvor auch in der Nikolaikirche eine neue Orgel gebaut). Die 25 Register umfassende Disposition dieser Orgel wurde 1619 durch Michael Praetorius in seinem „Syntagma musicum“ festgehalten.

Im Laufe des 17. Jahrhunderts erfolgten mehrere Umbauten und Renovierungen an dem Instrument, u. a. 1619 durch Josias Ibach sowie 1657 und 1703 durch Christoph Donat und Söhne, so dass die Orgel schließlich über 35 Register auf drei Manualen und Pedal verfügte. 1755 fügte der Orgelbauer Johann Emanuel Schweinefleisch ein Rückpositiv hinzu und erneuerte das Pedalwerk – 1772/73 wurde das Rückpositiv durch Johann Gottlieb Mauer als Oberwerk umgebaut. Die mittlerweile 50 Register umfassende Orgel wurde 1794/95 durch Johann Gottlob Trampeli abermals umgebaut; weitere Reparaturen folgten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Johann Gottlob Mende.

Zu den umfassenden Renovierungs- und Umbauarbeiten an dem Kirchengebäude in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte dann auch der Bau einer neuen großen Orgel, die die vielfach umgebaute Barockorgel auf der Westempore ersetzte. Am 19. Januar 1886 wurde dem Orgelbauer Wilhelm Sauer aus Frankfurt/Oder der Auftrag zum Bau der neuen Orgel erteilt. Durch den neugotischen Vorbau am Westgiebel der Kirche war genügend Raum für die erforderliche Tiefe des romantischen Instruments geschaffen worden. Am 5. April 1889 fand die Einweihung des 63 Register auf mechanischen Kegelladen umfassenden Instruments statt, das in der Fachwelt viel Lob erfuhr.

Auf Anregung des Thomasorganisten Carl Piutti erfolgte 1902 durch Sauer eine Umstellung auf pneumatische Trakturen, wodurch auch drei freie Kombinationen eingerichtet werden konnten. Außerdem erhöhte man den Winddruck für eine kräftigere Intonation und erweiterte die Disposition auf 65 Register. Piuttis Nachfolger als Thomasorganist war Karl Straube, der 1908 die Orgel nach dem Vorbild der Orgel in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche durch die Fa. Sauer erheblich erweitern ließ. Das nun unter der Firmen-Opusnummer 1015 geführte Instrument verfügte jetzt über 88 Register; durch die Erweiterung der Manualumfänge von f³ auf a³ mussten auch die Windladen sowie der Spieltisch neu gebaut werden. Weitere neobarockisierende Umdisponierungen erfolgten in den Jahren 1934 bis 1940 unter Thomasorganist Günther Ramin.

Mit dem Bau der neuen Orgel auf der Nordempore durch die Fa. Alexander Schuke (Potsdam) im Jahr 1967 wurde die Sauer-Orgel kaum noch genutzt. 1987 begannen die Planungen zu einer denkmalgerechten Restaurierung der Sauer-Orgel mit einer Rückführung auf den Zustand von 1908. Die Arbeiten wurden in zwei Bauabschnitten durch die Orgelbauwerkstatt Christian Scheffler (Sieversdorf) durchgeführt: In der ersten Bauphase 1988 bis 1993 wurden die Manualregister restauriert und die 13 ab 1934 ausgetauschten Manualregister rekonstruiert. Die zweite Bauphase mit der Rekonstruktion der Pedaldisposition konnte 2005 abgeschlossen werden. 2016 erfolgten eine Reinigung sowie der Austausch der Ledermembranen und eine Nachintonation durch Christian Scheffler.

Die somit in ihrem hochromantischen Gewand von 1908 wiederhergestellte Sauer-Orgel gehört zu den herausragenden Instrumenten der mitteldeutschen Orgellandschaft. Sie ist vor allem ein ideales Medium zur Darstellung der Orgelwerke Max Regers, die hier teilweise durch Karl Straube uraufgeführt wurden.

I. MANUAL | C–a³
Principal 16'
Bordun 16'
Principal 8'
Doppelflöte 8' *
Geigenprincipal 8'
Gamba 8' *
Flûte [harm.] 8'
Quintatön 8'
Gemshorn 8'
Flauto dolce 8' *
Gedackt 8'
Dulciana 8'
Rohrflöte 4'
Gemshorn 4'
Violini 4'
Octave 4'
Octave 2'
Quinte 5 1/3'
Rauschquinte 2 2/3' 2'
Mixtur 3f. *
Cornett 2–4f.
Groß-Cymbel 4f.
Scharff 5f.
Bombarde 16' *
Trompete 8'
Koppel III–I
Koppel II–I

Manual Oct.Koppel [= sub II–I]

II. MANUAL | C–a³
Salicional 16'
Gedackt 16'
Principal 8'
Schalmei 8'
Flûte harmonique 8'
Concertflöte 8' *
Harmonica 8' *
Rohrflöte 8'
Salicional 8'
Gedackt 8'
Dolce 8'
Flauto dolce 4'
Salicional 4'
Octave 4'
Piccolo 2'
Quinte 2 2/3'
Mixtur 4f. *
Cymbel 3f.
Cornett 3f.
Clarinette 8' *
Tuba 8'
Koppel III–II

III. MANUAL (SW) | C–a³
Gambe 16' *
[Liebl.] Gedackt 16'
Principal 8'
Viola 8'
Spitzflöte 8'
Quintatön 8'
Flûte d'amour 8'
Gemshorn 8'
Gedackt 8'
Aeoline 8'
Voix céleste 8'
Traversflöte 4'
Fugara 4' *
Praestant 4'
Flautino 2'
Quinte 2 2/3'
Harmonia aetheria 3f.
Oboe 8'
Trompette [harm.] 8' *

PEDAL | C–f¹
Majorbass 32' *
Untersatz 32'
Principal 16'
Contrabass 16'
Subbass 16'
Liebl. Gedackt 16'
Violon 16' *
Salicetbass 16'
Quinte 10 2/3'

Octave 8' *
Offenbass 8'
Bassflöte 8'
Gemshorn 8'
Cello 8'
Dulciana 8'
Octave 4'
Flauto dolce 4'
Posaune 32'

Posaune 16'
Fagott 16'
Trompete 8'
Clarine 4'
Koppel III–P
Koppel II–P
Koppel I–P

Pedal-Octavkoppel [Tritt]

* = ganz od. teilw. rekonstr.


Mezzoforte, Forte, Tutti, Rohrwerke an/ab, Piano-, Mezzoforte-, Forte- und Tuttipedal mit Absteller, Handregister ab, drei freie Kombinationen, Rollschweller mit Absteller.

Pneumatische Kegellade (Zustrom-Pneumatik).

Inhalte von Google Maps werden aufgrund deiner aktuellen Cookie-Einstellungen nicht angezeigt. Klicke auf die Cookie-Richtlinie (Funktionell), um den Cookie-Richtlinien von Google Maps zuzustimmen und den Inhalt anzusehen. Mehr dazu erfährst du in der Google Maps Datenschutzerklärung.

D-04109 Leipzig | Thomaskirchhof 18


Quellen und Literatur: Ullrich Böhme (Hg.), Die Sauer-Orgel in der Thomaskirche zu Leipzig, Leipzig 1991 ⋄ Christian Wolff (Hg.), Die Orgeln der Thomaskirche zu Leipzig, Leipzig 2005 ⋄ u. v. m. ⋄ Eigener Befund.

 

Nr. 671 | Diese Orgel habe ich am 24.05.2024 besucht.

© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 27.05.2024.