Kleve, St. Mariä Himmelfahrt

Orgel von Rieger Orgelbau (Schwarzach), 1992.


© Gabriel Isenberg, 23.10.2021
© Gabriel Isenberg, 23.10.2021

Die in den Jahren 1341 bis 1426 in mehreren Bauabschnitten errichtete, gotische Stiftskirche in Kleve war bereits der zweite Kirchbau vor Ort und löste eine frühere romanische Kirche bei der Burg Kleve ab. Von 1341 bis zu dessen Aufhebung im Zuge der Säkularisation 1802 war die Pfarrei dem landesherrlichen Marienstift inkorporiert, weshalb die Kirche auch heute noch den Namen Stiftskirche trägt.

Nach ihrer fast völligen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg konnte die Kirche 1956 – zunächst noch ohne die Turmfront – wiederhergestellt werden. 1969 war der Wiederaufbau der Türme nach historischem Vorbild abgeschlossen. Zwei Jahre zuvor (1967) war die Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt zur Propstei und damit auch die Stiftskirche zur Propsteikirche erhoben.

Schon aus sehr früher Zeit wissen wir von der Existenz einer Orgel in der Stiftskirche, die ihren Standort auf dem Lettner hatte. 1380 (also noch vor Vollendung des gotischen Kirchenschiffs) ist die Reparatur dieser Orgel belegt, für die Godfried van Goch für 9 Schillinge Häute und für 14 Denare Leder lieferte – diese Materialien wurden für die Reparatur der Bälge verwendet. Weitere umfassenden Renovierungsmaßnahmen sind 1453 durch den aus Nürnberg stammenden und in Frankfurt am Main ansässigen Meister Levinus Sweys (auch Liebing Süss) dokumentiert. Dabei erfahren wir auch, dass es sich bei der Orgel offenbar um ein zweimanualiges Instrument (mit „großem Werk“ und „positieff“) handelte und der Pfeifenprospekt, wie es damals üblich war, mit großen Flügeltüren verschlossen werden konnte.

1567 erhielten die Gebrüder Wilhelm und Johann Graurock aus Kalkar den Auftrag, die große Lettner-Orgel umfassend zu erneuern und zu erweitern und mit einem neuen Gehäuse etwas tiefer, vermutlich als Schwalbennestorgel zu installieren. Am 8. April 1568 wurde das fertige Werk von Johann Pering zusammen mit dem fürstlichen Hoforganisten Meister Sanderen aus Düsseldorf geprüft. Nur wenige Jahre später war eine größere Reparatur nötig, die 1575 von Floris (Florentius) Hocque aus Grave in Brabant ausgeführt wurde.

1644 ist ein Meister Thomas mit einer Arbeit an der Orgel belegt, die durch Rattenfraß Schaden erlitten hatte. Am 15. Februar 1667 beschloss das Kapitel, eine neue Orgel „auf einem Gewölbe hinter dem Taufbrunnen oberhalb der großen Kirchtüre“, also auf einer neuen Empore im Westwerk der Kirche aufzurichten. Dazu wurde der Orgelbauer Paul Münch aus Rees beauftragt, der das Werk nach vielen Schwierigkeiten 1676 fertiggestellt hatte. 1706 ist eine Reparatur durch den Orgelbauer Conrad Rupprecht aus Boxmeer/NL belegt. 1834 reparierte und erweiterte Wilhelm Cramer aus Dülmen die Orgel zum Preis von 1834 (!) Talern – dabei erhielt die Orgel offenbar auch ein neues Gehäuse.

1890 lieferte die Orgelbauanstalt Georg Stahlhuth in Burtscheid bei Aachen eine neue Orgel für die ehemalige Stiftskirche, ausgestattet mit 32 Registern auf pneumatischen Kegelladen. Diese Orgel wurde 1925 durch die Fa. Stahlhuth (Inh. Georg Haupt) auf 57 Register erweitert und mit einem neuen Spieltisch ausgestattet.

Im verheerenden Bombenangriff des 7. Oktober 1944 wurde die Stiftskirche bis auf die Umfassungsmauern zerstört, und mit ihr auch die Stahlhuth-Orgel. In der nach dem Krieg im Kolpinghaus eingerichteten Notkirche wurde am 22. Januar 1950 eine neue Orgel eingeweiht, die einige Jahre später in die dann wiederhergestellte Stiftskirche übertragen wurde. Bereits seit Mitte der 1970er Jahren wurden Spenden für eine neue Orgel gesammelt, aus denen 1979 zunächst eine kleine Chororgel mit sieben Registern angeschafft wurde, die die Fa. Gebr. Stockmann (Werl) als gebrauchtes Instrument aufstellte; sie diente zunächst Franz Rogmans in Goch als Hausorgel diente und bis heute ebenerdigt im Südchor der Stiftskirche steht. Mit Einstellung des Kantors Heinz Kersken im Jahr 1981 gewann die Anschaffung einer neuen, dem großen Kirchenraum angemessenen Orgel eine neue Priorität, so dass Anfang 1982 der „Förderkreis Orgelbau und Musik an der Stiftskirche Kleve“ gegründet wurde. Es dauerte noch zehn Jahre, bis am 20. September 1992 schließlich die neue Orgel der Fa. Rieger Orgelbau aus dem österreichischen Schwarzach eingeweiht werden konnte. Das Dispositionskonzept entwarfen Kantor Heinz Kersken und der Diözesanorgelsachverständige Ekkehard Stier zusammen mit den Orgelbauern. Mit ihren 45 Registern und ihrer französisch-symphonischen Disposition gehört die Orgel zu den herausragenden Instrumenten der Region Niederrhein – die Prospektgestaltung mit den kräftigen Farben und den schlank aufragenden Pfeifenfeldern passt sich markant in den großen Kirchenraum ein, um den Mittelturm herum breiten sich die goldenen Schleier wie Engelsflügel aus. Das Einweihungskonzert spielte Olivier Latry, Titularorganist der Pariser Kathedrale Notre-Dame. Mehrere CD-Aufnahmen dokumentieren den herausragenden Klang des Instruments.

Bei der jüngsten Reinigung und Generalüberholung wurden im Juli 2022 durch die Erbauerfirma drei Effektregister ergänzt: eine Celesta (von der Fa. Schiedmayer) mit 39 Tönen (I. Manual), ein Röhrenglockenspiel (25 Töne, III. Manual) sowie ein Cymbelstern (6 Glöckchen) mit zwei sich im Prospekt drehenden Sternen (klingender F-Dur-Akkord).

I. GRAND ORGUE | C–g³

Montre 16'

Montre 8'

Flûte harm. 8'

Bourdon 8'

Salicional 8'

Prestant 4'

Doublette 2'

Cornet [V] 8'

Fourniture [IV] 2'

Cymbale [III] 2/3'

Bombarde 16'

Trompette 8'

Clairon 4'

III–I

II–I

Sub III–I

II. POSITIF (expr.) | C–g³

Principal 8'

Bourdon 8'

Octav 4'

Flûte douce 4'

Nazard 2 2/3'

Doublette 2'

Tierce 1 3/5'

Larigot 1 1/3'

Plein Jeu [IV] 1'

Clarinette 8'

Trompete 8'

Tremblant

III–II

III. RÉCIT (expr.) | C-g³
Quintaton 16'
Flûte trav[ersière] 8'
Gambe 8'
Voix céleste 8'
Flûte octav[iante] 4'
Octavin 2'
Carillon [III] 2 2/3'
Tuba magna 16'
Tromp. harm. 8'
Basson-hautbois 8'
Clairon harm. 4'
Voix humaine 8'
Tremblant

Sub III–III

PÉDALE | C-f¹
Soubasse 32'
Contrebasse 16'
Soubasse 16'
Basse 8'
Bourdon 8'
Flûte 4'
Contrabomb[arde] 32'
Bombarde 16'
Trompette 8'

III–P

II–P

I–P

Super III–P


Setzeranlage (12 x 16 Ebenen) mit Sequenzern, Tutti, vier Crescendi (drei frei programmierbar), Appel des Anches (Tritt für jedes Werk).

Schleiflade mit mechanischer Spieltraktur und elektrischer Registertraktur.

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D-47533 Kleve | Kapitelstraße 8


Quellen und Literatur: Robert Scholten, Die Stadt Cleve. Beiträge zur Geschichte derselben meist aus archivalischen Quellen, Kleve 1879, S. 434–437 ⋄ Robert Scholten, Zur Geschichte der Stadt Cleve aus archivalischen Quellen, Kleve 1905, S. 177–178 ⋄ Die neue Orgel in der Stifts- und Propsteikirche St. Mariae Himmelfahrt zu Kleve [Festschrift], Kleve 1992 ⋄ Eigener Befund.

Nr. 605 | Diese Orgel habe ich am 23.10.2021 gespielt.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 28.02.2025.