Gronau, St. Matthäi

Orgel von Philipp Furtwängler (Elze), 1859/60.


© Gabriel Isenberg, 13.10.2011
© Gabriel Isenberg, 13.10.2011

Für die im Wesentlichen auf das 15. Jahrhundert zurückgehende St.-Matthäi-Kirche in Gronau a. d. Leine (Landkreis Hildesheim) ist erstmals für das Jahr 1622 eine Orgel nachgewiesen. Diese Orgel, über die keine genauere Angaben überliefert sind, erhielt im Mai 1836 im Rahmen einer Reparatur zwei neue Register, die der junge Uhrmachermeister Philipp Furtwängler aus Elze einbaute.

1856–59 erfolgte der Neubau des Kirchenschiffs im neugotischen Stil, nach einem Entwurf des hannoverschen Oberhofbaumeisters Georg Laves, ausgeführt unter Leitung des Architekten Wilhelm Tochtermann. Philipp Furtwängler, der inzwischen über zwanzig Jahre Erfahrung im Orgelbau verfügte und weit über 50 neue Orgeln gebaut hatte, erhielt 1859 den Auftrag zum Bau einer neuen Orgel. Die Gehäusegestaltung entwarf der Kirchenarchitekt Wilhelm Tochtermann. Die am 23. September 1860 eingeweihte Orgel in Gronau – Philipp Furtwänglers Opus 55 – ist mit 57 Registern das größte Orgelwerk aus der Werkstatt in Elze. Der Neubau kostete 2565 Reichsthaler; neun Register hatte Furtwängler auf eigene Kosten hinzugefügt, „um sein Werk zu vervollkommnen“

Nach einer minimalen Umdisponierung (Ersatz der Quinte 5 1/3' im HW durch Gamba 8') durch die Fa. P. Furtwängler & Hammer (Hannover) im Jahr 1913 und der kriegsbedingten Ablieferung der Prospektpfeifen 1917 erfolgte bereits 1936 im Rahmen einer Instandsetzung durch die Fa. Furtwängler & Hammer eine Rückführung auf die Originaldisposition, bei der auch die bis dahin vakante Registerschleife im Pedal mit Trompete 8' besetzt wurde, so dass die Orgel seitdem 58 Register umfasst. Im gleichen Jahr (1936) wurde die Orgel vom Landeskirchenamt Hannover unter Denkmalschutz gestellt. 1959 wurden im Rahmen einer Instandsetzung durch Alfred Führer (Wilhelmshaven) die Zungenstimmen erneuert und vermutlich die Oktavkoppeln entfernt.

In den Jahren 1978 bis 1981 – einer Zeit, als erst allmählich auch die Erhaltung von Orgeln aus dem 19. Jahrhundert wieder in den Blick genommen wurden – nahm die Fa. Gebr. Hillebrand (Altwarmbüchen) eine wegweisende Restaurierung vor, bei der auch die Balganlage überarbeitet und die ursprüngliche Farbfassung des Gehäuses wiederhergestellt wurde. Die Zungenstimmen rekonstruierte Hillebrand nach dem Vorbild der Furtwängler-Orgel in Buxtehude (1859). Die letzte Generalreinigung und Sanierung der Orgel erfolgte 2017/18 durch die Fa. Gebr. Hillebrand.

Auf Höhe der Prospektpfeifen befinden sich die jeweils mit 16 Registern besetzten Manualladen: vorne in der Mitte für das I. Manual, hinten links für das II. Manual und hinten recht für das III. Manual. Die Pedalladen stehen auf der unteren Ebene vorne links und rechts. Die Spielanlage ist frontal in die Orgel eingebaut. Eine Besonderheit ist die bis d² ausgebaut Superoktavkoppel im Forte-Pedal (am Zug bezeichnet mit „Ersatzzug im Pedal“). Die drei weitere Oktavkoppeln (Super I, Sub II, Super I–P) waren in ihrer Konstruktion bei Furtwängler noch nicht ausgereift, weshalb sie heute stillgelegt sind bzw. 1978/81 und 2017/18 nicht rekonstruiert wurden.

Die Gronauer Orgel ist ein herausragendes Denkmal des Orgelbaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Norddeutschland. Das unverändert erhaltene Instrument dokumentiert den Übergang zum einem sehr orchestral geprägten, romantischen Klangideal. Beeindruckend ist die in den konsequent dynamisch abgestuften Manualwerken üppig besetzte Registerpalette, die trotz sehr zahlreicher Register in tieferen Fußtonlagen auch bis hin zu strahlenden Mixturen und der „Pickelflöte“ in 1'-Lage reicht.

I. HAUPTWERK | C–f³

Principal 16 Fuss

Quintatön 16 Fuss

Principal 8 Fuss

Rohrflöte 8 Fuss

Gemshorn 8 Fuss

Quintatön 8 Fuss

Quinte 5 1/3 Fuss

Octav 4 Fuss

Rohrflöte 4 Fuss

Gemshorn 4 Fuss

Quinte 2 2/3 Fuss

Octav 2 Fuss

Cornet 3.4.5 fach [1 1/3']

Mixtur 4 fach [2']

Cymbel 3 fach [1/2']

Trompete 16 Fuss

Koppel M. I u. II

II. SEITENWERK | C–f³

Bordun 16 Fuss

Principal 8 Fuss

Gamba 8 Fuss

Hohlflöte 8 Fuss

Gedact 8 Fuss

Octav 4 Fuss

Viola 4 Fuss

Gedactflöte 4 Fuss

Quinte 2 2/3 Fuss

Octav 2 Fuss

Waldflöte 2 Fuss

Pickelflöte 1 Fuss

Mixtur 4 fach [2']

Scharf 3 fach [2']

Spitzig 2 fach [1']

Trompete 8 Fuss

Koppel M. III u. II

III. HINTERWERK | C–f³

Geig. Principal 8 Fuss

Viol. d. Gamba 8 Fuss

Salicional 8 Fuss

Spitzflöte 8 Fuss

Flöte 8 Fuss

Dolceflöte 8 Fuss

Dolcissimo 8 Fuss

Rohrflöte 8 Fuss

Gedactflöte 8 Fuss

Octav 4 Fuss

Salicet 4 Fuss

Gedactflöte 4 Fuss

Terz 3 1/5'

Spitzquinte 2 2/3'

Flautino 2'

Cornettino 2.3.4 fach [2']

PEDAL | C–d¹

Forte Pedal:

Principalbass 16 Fuss

Subbass 16 Fuss

Quintenbass 10 2/3 Fuss

Octav 8 Fuss

Bombarde 32 Fuss

Posaunenbass 16 Fuss

Trompete 8'

 

Piano Pedal:

Bordunbass 16 Fuss

Violonbass 16 Fuss

Violoncello 8 Fuss

 

Pedal Koppel [zu I, durchkoppelnd]

Ersatzzug im Pedal [= Superoktave Forte-Pedal]


Forte Pedal [zum Aktivieren der Register des Forte-Pedals], Evakuant, Kalkant.

Stillgelegte Oktavkoppeln: „Octavant erstes Manual“ [= Super I], „Octavant zweites Manual“ [= Sub II], „Collectivzug“ [= Super I–P]

Mechanische Schleiflade.

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D-31028 Gronau (Leine) | Kirchplatz


Quellen und Literatur: Holger Brandt, Auf der Suche nach dem neuen Klang. Frühromantische Orgeln in Niedersachsen: Gronau und Walsrode, in: Organ. Journal für die Orgel 3/2022, S. 17–23 ⋄ orgelfreunde-gronau.de [13.06.2023] ⋄ www.kirchengemeindelexikon.de [13.06.2023] ⋄ Eigener Befund.

 

Nr. 427 | Diese Orgel habe ich am 13.10.2011 besucht.

© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 13.06.2023.