Orgel der Gebr. Haupt (Ostercappeln), 1852.
Nach jahrelangen Konfessionsstreitigkeiten legte die »capitulatio perpetua« 1650 die Nutzung der seit Ende des 14. Jahrhunderts bestehenden St.-Christophorus-Kirche in Vörden durch beide Konfessionen fest. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits eine Orgel, die in einem Visitationsprotokoll von 1651 allerdings als »totaliter destructum« (d. h. völlig zerstört) bezeichnet ist.
Auch in der 1661 neu erbauten Kirche gab es eine Orgel, denn 1670 weist eine Kirchenrechnung Ausgaben für den Kalkanten aus. Der Standort auf einer seitlichen Empore war zu Beginn des 18. Jahrhunderts erneut ein Grund für konfessionelle Auseinandersetzungen; so wollten die Evangelischen die Orgel auf eine neue Empore oberhalb des Altars versetzen, während die Katholiken am alten Standort über der Sakristei festhielten – unter anderem sei bei der Aufstellung oberhalb des Altars mit der Belästigung des Zelebranten und einer Verschmutzung des Altars durch herabfallenden Staub zu rechnen. Kleinere Reparaturen sind durch einen namentlich ungenannten Orgelbauer 1770 und durch Ferdinand Holthaus (Osnabrück) um 1823 belegt.
Ein größerer Umbau erfolgte 1829/31 durch den Orgelbauer Johann Heinrich Brinkmann aus Herford bzw. dessen Mitarbeiter Heinrich Friedrich Ludwig Ohe. Dabei erfolgte nun die Versetzung des Instruments innerhalb der Kirche, wobei auch Gehäuse und Trakturen neu angefertigt werden mussten. Die Arbeiten fielen nicht zur vollen Zufriedenheit der Auftraggeber aus. Doch lange hatte die Orgel ohnehin keinen Bestand mehr, denn sie wurde zusammen mit der Kirche beim großen Dorfbrand am 13. November 1842 vollständig ein Raub der Flammen.
Unmittelbar danach begannen die Wiederaufbauarbeiten, die 1851 abgeschlossen waren. Die heutige Kirche wurde auf den Außenmauern und unter Beibehaltung des Westturms von 1661 als schlichter Saalbau errichtet. Die neue Orgel bauten die Gebrüder Friedrich Wilhelm und Carl Friedrich Haupt aus Ostercappeln. Das neue Instrument war 1852 fertiggestellt, hatte 14 Register auf zwei Manualen und Pedal bei mechanischen Schleifladen und kostete 1110 Rthl. Vor allem in der Disposition des zweiten Manuals, das mit sanften Stimmen in 8'- und 4'-Lage besetzt war, zeigt sich der Wandel des Klangideals der Zeit hin zum „romantischen“ Klangbild. Eine Besonderheit war die Besetzung des Pedals mit durchschlagendem Fagott 16' und Doppelflöte 8' (d. h. ohne labialen 16-Fuß), die hier bei Haupt zum ersten Mal anzutreffen ist.
Im Laufe der Zeit musste die Orgel mehrfach Veränderungen über sich ergehen lassen. 1903 reparierte Johann Martin Schmid („Schmid III“) aus Oldenburg die Orgel und hatte sie in den Folgejahren auch in Pflege. Im Sommer 1917 mussten die Prospektpfeifen für die Rüstungsindustrie des Ersten Weltkriegs abgeliefert werden; sie wurden 1923 durch Zinkpfeifen ersetzt. Als in der Nacht vom 3. auf den 4. November 1923 der Kirchturm brannte, wurde auch die Balganlage beschädigt. Noch im gleichen Monat behob Ludwig Rohlfing aus Natbergen (die Nachfolgefirma von Schmid) den Schaden. Rohlfing übernahm nun auch die regelmäßige Pflege.
Doch trotz regelmäßiger Pflege verschlechterte sich der Zustand der Orgel seit den 1940er Jahren immer weiter, so dass dringender Handlungsbedarf bestand. Schließlich wurde Hans Wolf (Verden) 1958 mit der Erneuerung des Instruments beauftragt. Allerdings sind seine Eingriffe in die historische Substanz nicht in allen Punkten als glücklich zu bewerten. So wurde die noch voll funktionsfähige Balganlage, die aus drei Keilbälgen bestand, nur deshalb entfernt, weil ein weiterer Zugang zum Kirchturm geschaffen werden sollte. Die Windladen des Hauptwerks wurden um 90° gedreht und parallel zur Gehäusefront aufgestellt, sodass auch die komplette Spielmechanik erneuert werden musste. Die Windversorgung war durch die Neuverlegung der Windkanäle nun nicht mehr stabil. Die Disposition von II. Manual und Pedal wurde verändert und „aufgehellt“. Außerdem setzte Wolf die Prospektpfeifen des Principal 4’ (II. Manual) in den drei Mittelfeldern durch Entfernen der Kondukten stumm.
Schon bald zeigte sich, dass die Umbauten keine dauerhafte Verbesserung bringen konnten. Nach der Kirchenrenovierung 1975 führte Johannes Wolfram (Natbergen) eine Reinigung und Neuintonation der Orgel durch, wodurch die bestehenden Probleme jedoch auch nicht gelöst werden konnten.
Kurz bevor die Orgel Anfang 1986 gänzlich versagte, wurde nach längeren Verhandlungen der Auftrag zur Restaurierung an die Orgelbauwerkstatt Kreienbrink (Osnabrück) vergeben. Als Orgelsachverständiger der Landeskirche hatte Uwe Droszella die Aufsicht. Ziel der Arbeiten war eine Wiederannäherung an den technischen und klanglichen Ursprungszustand. Die Disposition des II. Manuals blieb allerdings unverändert, und im Pedal wurde ein neuer Subbaß gebaut und der bisherige Subbaß zur Doppelflöte 8’ rückgeführt. Die innere Aufteilung des Werks wurde nicht verändert. Optisch veränderte sich das Äußere der Orgel durch eine neue Farbfassung des restaurierten Gehäuses; auch die Prospektpfeifen wurden erneuert. Die Einweihung der restaurierten Orgel fand am 9. August 1987 statt.
Rund 30 Jahre später zeigte sich erneut dringender Restaurierungsbedarf, als an der Orgel wegen Schimmelbefalls akut gehandelt werden musste. Seit 2015 liefen die ersten Planungen, bevor im September 2020 der Vertrag zur Restaurierung mit der Orgelbaufirma Eule aus Bautzen abgeschlossen werden konnte. Durch die finanzielle Unterstzützung aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm der Bundesregierung sowie weitere Förderungsmaßnahmen war es möglich, die Orgel von Grund auf zu restaurieren und zu rekonstruieren, so dass der Ursprungszustand von 1852 wiederhergestellt werden konnte. Die Originaldisposition – vor allem mit der charakteristischen durchschlagenden Fagott-Stimme im Pedal – überzeugt nun wieder mit ihren vielfältigen Klangmöglichkeiten. Und auch die technische Anlage sowie die Position der Windladen entsprechen nun wieder dem Zustand von Haupt 1852. Zusätzlich wurde die dreiteilige Balganlage nach historischem Vorbild rekonstruiert und mit einer Balgaufzugsanlage ausgestattet, die wahlweise mechanisch oder elektrisch betätigt werden kann.
Am 10. Dezember 2023 erfolgte die feierliche Wiedereinweihung des restaurierten Instruments mit den Kreiskantoren Eva Gronemann (Bramsche) und Martin Ehlbeck (Hannover) an der Orgel. Der zuständige Orgelsachverständige Hartwig Brockes, der die Restaurierungsarbeiten intensiv begleitet hatte, stellte die spezifischen Eigenschaften der Haupt-Orgel vor. Der klassische Prinzipalchor wird ergänzt durch füllig-weiche Flötenstimmen, die sanft streichende Gamba im Positiv und die Mixtur mit ihrem edlen Glanz. Besonders überzeugend sind die beiden Zungenstimmen – vor allem der sanft-sonore Klang des durchschlagenden Fagott ist eine Besonderheit und lässt sich ausgesprochen vielseitig einsetzen, ohne dass man den sonst üblichen labialen Subbass vermissen würde.
I. HAUPTWERK | C–f³
Bordun 16'
Principal 8'
Gedackt 8'
Octav 4'
Pyramidflöte 4'
Octav 2'
Mixtur 4f.
Trompet 8' B/D
Mnl. Coppel
II. POSITIV | C–f³
Flaut trav. 8'
Gamba 8'
Principal 4'
Doppelflöte 4'
PEDAL | C–d¹
Fagott 16'
Doppelflöte 8'
Pdl. Coppel
Mechanische Schleiflade.
I. HAUPTWERK | C–f³
Bordun 16'
Principal 8'
Gedackt 8'
Octav 4'
Pyramidflöte 4'
Octav 2'
Mixtur 4f.
Trompete 8'
Man.Koppel
II. POSITIV | C–f³
Rohrflöte 8'
Doppelflöte 4'
Spitzflöte 2'
Cymbel 3f.
PEDAL | C–d¹
Subbass 16'
Doppelflöte 8'
Ped.Koppel
Mechanische Schleiflade.
D-49434 Neuenkirchen-Vörden | Osnabrücker Straße 19
Quellen und Literatur: Winfried Schlepphorst, Der Orgelbau im westlichen Niedersachsen, Kassel u. a. 1975, S. 155ff ⋄ Die Haupt-Orgel in der Ev.-luth. St. Christophorus-Kirche Vörden, Ankum 1987 ⋄ Gabriel Isenberg, Orgellandschaft Dammer Berge, Damme 2011, S. 53-56 ⋄ Der Bote von St. Christophorus, Dez. 2023 bis Febr. 2024, S. 10–13 ⋄ Eigener Befund.
Nr. 405 | Diese Orgel habe ich zum ersten Mal am 03.03.2011 gespielt.
© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 12.12.2023.
www.orgelsammlung.de
© Dr. Gabriel Isenberg, 2023