Leipzig, Thomaskirche („Bach-Orgel“)

Orgel von Gerald Woehl (Marburg), 2000.


© Gabriel Isenberg, 24.05.2024
© Gabriel Isenberg, 24.05.2024

Neben der » großen Orgel auf der Westempore  gab es in der Leipziger Thomaskirche spätestens seit 1489 auch eine weitere Orgel, die als Schwalbennestorgel über dem östlichen Triumphbogen oder an der Südwand angebracht war. Sie wurde wahrscheinlich 1511 durch Blasius Lehmann auf die Westempore versetzt und 1595 erneuert. 1630 erweiterte Heinrich Compenius d. J. das Instrument um ein Positiv, einen Subbass und einen Zimbelstern. 1639/1640 fand es seinen Aufstellungsort auf einer neuen Ostempore über dem Triumphbogen unter Verwendung von Teilen der Vorgängerorgel und wurde in diesem Zuge durch Andreas Werner (Wittenberg) und Erhardt Müller (Leisnig) gründlich überholt. Christoph Donat führte 1678 einen umfassenden Umbau durch und fügte sechs weitere Register hinzu, so dass die Disposition nun 21 Register in Rückpositiv, Oberwerk, Brustwerk und Pedal zählte. Reparaturen fanden 1721/22 durch Johann Scheibe und 1727/28 im Auftrag Johann Sebastian Bachs durch Zacharias Hildebrandt statt. In Bachs Werken lässt sich mehrfach konkret der Einsatz dieser zweiten kleinen Orgel in der Thomaskirche belegen. Die Orgel hatte bis 1740 Bestand; einen Teil des Pfeifenwerks verwendete Johann Scheibe 1742 beim Orgelneubau der in der Leipziger Johanniskirche wieder.

Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde dann nur die mehrfach veränderte und 1886/89 neu erbaute große Orgel auf der Westempore genutzt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wünschte man neben der romantisch disponierten Sauer-Orgel ein mechanisch traktiertes Instrument, auf dem man die Orgelwerke Johann Sebastian Bachs adäquat darstellen könne. So kam es zum Bau der neobarocken „Bach-Orgel“ durch die Fa. Alexander Schuke Potsdam Orgelbau, die am 21. Mai 1967 eingeweiht wurde und an der Wand am Ostende der Nordempore ihren Platz hatte. Das von Fritz Leweke entworfene schlichte, asymmetrische Gehäuse beherbergte ein dreimanualiges Instrument mit 47 Registern.

32 Jahre später – im Jahr 1999 – wurde diese Orgel wieder abgebaut und in den Mariendom zu Fürstenwalde versetzt. Es sollte zum Bach-Jubiläumsjahr 2000 anlässlich des 250. Todestags des großen Komponisten und Thomaskantors Platz geschaffen werden für eine neue „Bach-Orgel“, die ganz nach den technischen Prinzipien und Klangvorstellungen des 18. Jahrhunderts und speziell Johann Sebastian Bachs gefertigt sein sollte.
Noch als Kind hatte der junge Johann Sebastian die neue große Orgel der Eisenacher Georgenkirche begutachtet, die von Georg Christoph Stertzing (Ohrdruf) errichtet worden war. Die Disposition stammte aus der Feder von Johann Sebastians Onkel Johann Christoph Bach. Die Eisenacher Orgel scheint nachhaltigen Eindruck auf Johann Sebastian gemacht haben, bezieht er sich doch in späteren Orgelbegutachtungen immer wieder auf dieses Instrument.
Die Eisenacher Stertzing-Orgel, einst eine der berühmtesten thüringischen Orgeln, existiert nicht mehr. Aber ihre Disposition mit 60 Registern auf vier Manualen und Pedal bildet die Basis der neuen Bach-Orgel der Leipziger Thomas-Kirche. Die Leipziger Orgel ist im Chorton der Bach-Zeit a¹=466 Hz gestimmt, kann aber für das Zusammenspiel mit barocken Instrumenten auf 415 Hz umgestellt werden. Die Temperatur ist nach Johann Georg Neithardt (1732) angelegt.
Die äußere Gestalt der Orgel ist inspiriert durch das Gehäuse der alten Scheibe-Orgel in der zerstörten Leipziger Universitäts-Kirche (Pauliner-Kirche). Bach begutachtete dieses Instrument 1717. Das Aussehen der Orgel ist nur durch Archivalien überliefert. Die neue Bach-Orgel zeigt zwar deutliche Anknüpfungspunkte an ihr Vorbild, verleugnet aber in keinster Weise ihre Entstehung an der Schwelle vom 20. zum 21. Jahrhundert. Prägend ist das Bach-Wappen, das im Mittelpunkt des Orgelprospekts angebracht ist. Die Weihe des neuen Instruments fand am Pfingstsonntag, dem 11. Juni 2000 statt, wobei zu diesem Zeitpunkt erst die Hälfte der Register eingebaut war.
Der Aufbau des Orgelprospekts spiegelt nicht die Aufteilung des dahinterliegenden Pfeifenwerks wider. Die Spielanlage ist in das Untergehäuse eingebaut. Links und rechts neben dem Notenpult sind die Registerzüge angeordnet. Durch den Fußtritt „Plenumwind“ wird die Windversorgung umgestellt, so dass der Wind für das volle Werk ausreichend ist. Die Stimmtonhöhen-Umschaltung erfolgt über einen Hebel in der Tür rechts neben dem Spieltisch.

I. BRUSTWERK | C–f³
Grob Gedackt 8'
Klein Gedackt 4'
Principal 2'
Super Gemshörnlein II
Quint-Sexta II
Sieflit 1'

II. HAUPTWERK | C–f³
Bordun 16'
Principal 8'
Violadagamba 8'
Rohrflöth 8'
Quinta 6'
Octav 4'
Nassatquint 3'
Superoctav 2'
Queerflöth 2'
Sesquialter III
Mixtur VI
Cimbel III
Fagott 16'
Trombetta 8'
Copul OW/HW
Copul ECHO/HW

III. OBERWERK | C–f³
Quintaden 16'
Principal 8'
Gedackt 8'
Gemshorn 8'
Flauta doux 8'
Octav 4'
Hohlflöth 4'
Hohlquint 3'
Superoctav 2'
Plockflöth 2'
Sesquialtera III
Scharff IV
Vox humana 8'
Hautbois 8'
Glockenspiel

IV. ECHO (UW) | C–f³
Barem 16'
Still Gedackt 8'
Quintaden 8'
Principal 4'
Nachthorn 4'
Spitzflöth 4'
Spitzquint 3'
Octav 2'
Schweitzerflöth 2'
Rauschquint 1 1/2'
Superoctävlein 1'
Cimbel III
Regal 8'
Vacat


PEDAL | C–f¹
Großer Untersatz 32'
Principal 16'
Violon 16'
Sub Bass 16'
Octav 8'
Gedackt 8'

 

Quintaden 8'
Superoctav 4'
Bauerflöth 1'
Mixtur VI
Posaun Bass 32'
Posaun Bass 16'

 

Trombet 8'
Cornet 2'
Copul HW/Pedal
Copul OW/Pedal

NEBENREGISTER

Vogel Geschrey

Zwei Zimbelsterne

Tremulant [ganzes Werk]


Plenumwind [Tritt = ausreichender Wind für das volle Werk]; „Kammer-Koppel“ (= mech. Umstellung Chorton 466 Hz / Kammerton 415 Hz).

Mechanische Schleiflade.

Stimmtonhöhe: Chorton a¹ = 466 Hz bei 17°C (ungleichstufig nach Neidhardt 1732, modifiziert).

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D-04109 Leipzig | Thomaskirchhof 18


Quellen und Literatur: Christian Wolff (Hg.), Die Orgeln der Thomaskirche zu Leipzig, Leipzig 2005 ⋄ u. v. m. ⋄ Eigener Befund.

 

Nr. 156 | Diese Orgel habe ich am 20.06.2002 zum ersten Mal gespielt.

© Dr. Gabriel Isenberg | Letzte Änderung: 27.05.2024.